Tinnitus – Ohrgeräusche
Tinnitus
Tinnitus aurium (lateinisch) bedeutet übersetzt "Klingeln im Ohr, Geklirr". Die Geräusche, die der Betroffene wahrnimmt, sind nur für ihn selbst hörbar (subjektiv). Davon abgegrenzt wird der objektive Tinnitus, der auch von Außenstehenden wahrnehmbar ist. Diese Form der Ohrgeräusche ist deutlich seltener, weshalb in diesem Artikel nicht weiter eingegangen werden soll. Objektiver Tinnitus kommt z.B. bei gutartigen Gefäßtumoren im Mittelohr vor. Tinnitus ist ein Symptom einer Erkrankung, es handelt sich bei Ohrgeräuschen also nicht um eine Erkrankung im eigentlichen Sinne, obgleich eine Diagnose-Nummer hierfür existiert (ICD-Code). Dies ist immens wichtig um Tinnitus zu verstehen.
Ursachen
Meist kommen Ohrgeräusche in der Folge von Hörstörungen vor. Entweder akut im Rahmen eines Hörsturzes oder zunehmend bei Schwerhörigkeit / Altersschwerhörigkeit. Typische Auslöser sind darüber hinaus Lärmschädigungen durch chronische Lärmbelastung (z.B. beruflich bedingt) oder akut durch Diskobesuch, Konzerten, Silvesterböller und weiteren. Im Bereich der Hörstörung befindet sich meist auch die Tinnitusfrequenz (siehe unten), daher sagt man analog zu Phantomschmerzen (bei amputierter Gliedmaße) auch Phantomgeräusch zu Tinnitus. Sie sind das Resultat einer Umstrukturierung, mit der unser Gehirn einen Hörverlust auszugleichen versucht. Dieser Ansatz erklärt den Versuch bei der Behandlung eine aufgetretene Hörstörung wieder auszugleichen (siehe unter Therapie akuter Ohrgeräusche).
Darüber hinaus gibt es Innenohrerkrankungen die mit Tinnitus einhergehen. Hierzu gehört die Meniérèsche Erkrankung oder toxische Wirkung von Medikamenten (z.B. Chemotherapeutika oder bestimmten Antibiotika).
Manchmal liegt die Tinnitusursache auch im Mittelohr oder im Gehörgang, z.B. bei einer Mittelohrentzündung oder Entzündung des Gehörganges oder den Gehörgang komplett verlegenden Ohrenschmalzpropfen. Auch Beschwerden im Bereich des Kiefergelenks (craniomanibuläre Dysfunktion, Zähneknirschen, Pressen) oder der Halswirbelbeschwerden (HWS-Blockade, Atlasblockade, Fehlhaltung bei z.B. ungünstigen Arbeitsbedingungen) können Ursache von Tinnitus aurium sein. Oft wird über ein neu aufgetretenes Ohrgeräusch nach chiropraktischen Behandlungen berichtet.
Oft spielt auch eine psychosomatische oder psychiatrische Entstehung eine Rolle, insbesondere, wenn sie beidseitig auftreten und der HNO-Arzt keine Ursache finden kann. Der Zusammenhang ist hinlänglich bekannt, weil insbesondere auch Stress zu einer Verstärkung vorbestehender Ohrgeräusche führen kann und Ohrgeräusche überhäufig bei Depressionen vorkommen.
Nicht unerwähnt lassen möchte ich den Einfluss technischer Gerätschaften in unserem Alltag wie Headsets (Homeoffice während der aktuellen Corona-Pandemie!) und In-Ear-Ohrstöpseln bei der Verwendung von Handys und MP3-Playern sind unsere ständigen Begleiter geworden. Tablet und Smartphone statt ein gutes Buch am Abend. Sogar die Kleinsten (Grundschüler im coronabedingten Distanzunterricht mit Video-Chats und Tablet-Anwendungen) werden schon an die Verwendung dieser Technik früh herangeführt, weshalb das Auftreten von Ohrgeräuschen vermutlich eher zunehmen wird (persönliche Meinung der Verfasserin!). Wo ist die Stille geblieben? Die ständige akustische Stimulation kann, wenn zu laut und ständig, maßgeblich Einfluss auf die Hörverarbeitung nehmen.
Nicht immer lassen sich Ohrgeräusche einer einzigen Ursache zuordnen. Oftmals ist es eine Kombination mehrerer Einzelursachen die zu Symptomen führen, „das Fass zum Überlaufen“ bringen. In den letzten Monaten wurde ich in der Praxis häufig wegen Ohrgeräuschen konsultiert und immer wieder fand sich eine der folgenden Konstellation ähnliche Situation: Tinnitus bds., seit Monaten Homeoffice, ständiges Tragen eines Headsets, zunehmende Fehlhaltung durch mangelnden körperlichen Ausgleich (früher mit dem Rad oder zu Fuß ins Büro), Doppelbelastung Job und Familie (Kinder im Homeschooling), soziale Belastungen, gesundheitliche oder finanzielle Sorgen wegen der Corona-Pandemie... (ggf. zusätzlich mit Schlafstörung, burnout, Gewichtszunahme (fehlender sportlicher Ausgleich), hierdurch beginnende Schlafapnoe mit zunehmender kardiovaskuläre Belastung mit erhöhtem Blutdruck...die Liste läßt sich durchaus verlängern). Diese Fallschilderung soll vergegenwärtigen, dass es nicht immer die EINE URSACHE gibt und war auch Anlass für diesen umfangreichen Glossar-Eintrag.
Symptome
Tinnitus kann je nach Ursache plötzlich oder schleichend auftreten. Die Intensität und Dauer des Ohrgeräusches kann schwanken, es gibt dauerhaft bestehende Ohrgeräusche, immer wieder auftretende oder pulssynchrone Geräusche. Darüber hinaus gibt es tieffrequente Geräusche (Brummen, Rauschen) oder hochfrequente (Pfeifen und Piepsen). Manchmal sind sie ganz leise und nur in völliger Stille zu hören, manchmal übertönen sie sogar Alltagsgeräusche.
Oftmals sind die Ohrgeräusche mit anderen Symptomen verbunden wie Druck- oder Völlegefühl, Schwindelbeschwerden oder einer Hörminderung. In vielen Fällen besteht zusätzlich eine Überempfindlichkeit auf Alltagsgeräusche wie Geschirrklappern, Straßenlärm oder Kindergeschrei (Hyperakusis). Bei Beschwerden im Bereich der HWS oder des Kiefergelenkes sowie bei Entzündungen kann es zu Ohrenschmerzen kommen.
Auch können Ohrgeräusche zu psychiatrischen Erkrankungen führen und sich primär in diesen äussern (Schlafstörungen, Depression, Panikattaken), wobei sie hier auch als Symptom der Grunderkrankung bestehen können.
Wann zum Arzt bei Tinnitus?
Da Ohrgeräusche in den meisten Fällen eine harmlose Ursache haben, kann meist ein paar Tage die spontane Besserung abwarten, die in den meisten Fällen eintritt. Bei ausgeprägtem Leidensdruck, starken und plötzlich auftretenden Beschwerden und zusätzlichen Symptomen wie Höreinschränkung oder Schwindel sollte die Abklärung zeitnah erfolgen und ein HNO-Arzt aufgesucht werden.
Diagnostik
Zur Diagnostik von Ohrgeräuschen / Tinnitus gehört immer eine umfassende Untersuchung der Hörfunktion. Durch eine vorherige Inspektion des Gehörganges lassen sich Ursachen wie Entzündungen und Ohrenschmalzpröpfen ausschließen.
Es wird zunächst die Funktion des Mittelohres geprüft:
* Schwingungsfähigkeit des Trommelfells, Mittelohrdruckmessung
* Beweglichkeit der Gehörknöchelchenkette (Messung der Stapediusreflexe).
Die Funktionsfähigkeit der äußeren Haarzellen im Innenohr prüft man mit der OAE-Messung, denn funktionsfähige äußere Haarzellen senden akustische Signale aus, die man objektiv messen kann (Otoakustische Emissionen).
Der Hörtest offenbart ein ggf. einseitig eingeschränktes Hörvermögen als Ursache einer gestörten Innenohrfunktion. Je nach dem in welchem Frequenzbereich sich die Hörschwäche befindet bzw. welche Frequenz der Tinnitus besitzt, lassen sich Schlussfolgerungen auf die Ursache der Beschwerden ziehen. Beim Tinnitusmatching wird die Frequenz und die Lautstärke des Tinnitus bestimmt, die Tinnitus-Verdeckungskurve zeigt an, wie laut der übertönende Pegel sein muss, damit der Patient den Tinnitus nicht mehr wahrnehmen kann. Ein cochleärer Tinnitus (im Innenohr entstehend) ist typischerweise schwellennah verdeckbar (Konvergenztyp, Kongruenztyp), ein peripher-neuronaler Tinnitus eher schwellenfern und ein zentraler Tinnitus (Divergenztyp, Distanztyp) ist in der Regel nicht verdeckbar. Diese Informationen erleichtern dem HNO-Arzt bei bestimmten Fragestellungen die Einordnung des Ohrgeräusches.
Darüber ist es für die Einleitung einer Therapie wichtig zu wissen, wie stark die psychische Beeinträchtigung durch den Tinnitus ist. Die Tinnitus-Schweregrad-Einteilung nach Biesinger zielt also weniger auf Lautstärke, Häufigkeit und Frequenz ab, sondern mehr auf die psychische Belastung durch den Tinnitus.
Schweregrade nach Biesinger:
I°: Der Tinnitus belastet den Betroffenen kaum. Trotz der Ohrgeräusche besteht kein Leidensdruck.
II°: Wahrnehmung des Ohrgeräusches insbesondere in Stille, wird als störend und belastend bei Stress oder in bestimmten Situationen wahrgenommen. Betroffene kommen noch ohne größere negative Folgen mit ihrem Alltag zurecht.
III°: Es bestehen dauerhafte Beeinträchtigungen der Lebensqualität sowie der beruflichen Leistungsfähigkeit. Störungen im emotionalen, körperlichen sowie kognitiven Bereich sind zu erwarten. Noch sind die betroffenen Personen arbeitsfähig. Ab Stadium III nennt man das Ohrgeräusch „dekompensiert“.
IV°: Dekompensierter Tinnitus, die Patienten sind beruflich wie privat schwer beeinträchtigt. Es besteht meist Arbeitsunfähigkeit, sogar Berufsunfähigkeit ist möglich.
Zur erweiterten Diagnostik gehört schließlich noch die Hirnstrom-Messung (Hirnstammaudiometrie), welche die Funktionsfähigkeit des Hörnerven überprüft. Laufzeitunterschiede zwischen beiden Seiten können einen entzündlichen oder tumorösen Prozess im Bereich der Hörbahn anzeigen. Dies ist aber ausgesprochen selten, so dass Sie sich bei neu aufgetretenen Ohrgeräuschen diesbezüglich keine Sorgen machen sollten. Ihr HNO-Arzt entscheidet anhand der Voruntersuchungen, ob diese Messung durchgeführt werden sollte, weil ein entsprechender Verdacht besteht.
Neben diesen funktionsdiagnostischen Untersuchungen gehört selbstverständlich die körperliche Untersuchung des Ohres sowie benachbarter Strukturen wie dem Kiefergelenk, der Ohrtrompete und des Nasen-Nasennebenhöhlensystems (z.B. bei Belüftungsstörungen bei Polypen, chronischer Nebenhöhlenentzündung, chronisch behinderter Nasenatmung bei Scheidewandverbiegung oder vergrößerten Nasenmuscheln). Die Stimmgabelmessung ist ebenfalls teil der klinischen Untersuchung und kann erste Hinweise auf die Lokalisation der Störung liefern.
Nicht zu vergessen ist die eingehende Befragung nach auslösenden Momenten, akuten Infekten oder chronischen Vorerkrankungen (z.B. internistische Erkrankungen, Herzkreislauferkrankungen, neurologische Erkrankungen (z.B. MS), Erkrankungen des Bewegungssystems/ der Wirbelsäule), Stressituationen und psychiatrischen Erkrankungen.
In den meisten Fällen findet sich durch die Kombination von Anamnese (medizinischer Vorgeschichte), der klinischen und funktionsdiagnostischen Untersuchung ein Hinweis für die Ursache Ihrer Tinnitus-Beschwerden. Leider gelingt dies nicht immer, insbesondere, wenn die Untersuchung des Ohres keinen krankhaften Befund ergibt.
In gewissen Fällen veranlasst der HNO-Arzt eine bildgebende Untersuchung. Je nach Fragestellung wird ein MRT des Gehirns (mit Darstellung des sog. Kleinhirnbrückenwinkels und dem Kontrastmittel Gadolinium bei V.a. Vestibularisschwannom) oder ein Computertomogramm (CT) des Felsenbeins (bei z.B. Verdacht auf eine entzündliche Erkrankung des Warzenfortsatzes (Mastoiditis) oder Pathologien des Mittelohres (z.B. Glomus jugulare-Tumor) oder des Innenohres (z.B. Dehiszenzsyndrom des oberen Bogenganges). Die hier in Klammern genannten Erkrankungen sind allesamt selten, so dass die Schnittbilddiagnostik bei Tinnitus nicht zur Routinediagnostik gehört und erst nach den oben genannten Voruntersuchungen wenn ein entsprechender Verdacht auf Vorliegen einer solchen Erkrankung naheliegt beim Radiologen in Auftrag gegeben wird.
Therapie
Grundsätzlich werden akute Ohrgeräusche anders als chronischer Tinnitus behandelt. Im Vordergrund steht, sollte sich die Ursache hinreichend klären lassen, selbstverständlich die Grunderkrankung. Im Folgenden möchte ich auf den otogenen (vom Ohr ausgehenden) Tinnitus eingehen und die Behandlung weiterer Ursachen nur anreißen, da dies den Rahmen sprengen würde.
Akutbehandlung von Ohrgeräuschen
Wie wir bereits wissen entsteht akuter Tinnitus vornehmlich durch Störungen im Innenohr. Demnach entspricht die Behandlung akuter Ohrgeräusche der Behandlung des Hörsturzes, insbesondere wenn man in der Diagnostik eine akute Hörstörung aufdecken konnte. Das heißt, man kann auch einige Tage abwarten, ob die Geräusche von alleine wieder verschwinden, denn auch die Hälfte aller Hörstürze regeneriert von ganz alleine ohne ärztliches Zutun. Ein nicht zu langes Warten hat sich bei der Behandlung allerdings bewährt, schließlich kann man nicht sicher sein, dass man zu der Gruppe von Patienten, bei der eine sog. Spontanremission eintritt, gehört.
Für die Akutbehandlung wird immer noch gerne Kortison verwendet, wie auch beim Hörsturz, insbesondere dann, wenn sich eine Funktionsstörung im Innenohr objektivieren läßt. Entweder erfolgt die Gabe oral in Form von Tabletten über ein paar Tage in absteigender Dosierung oder über Infusionen direkt ins Gefäßsystem. Bei leichten Symptomen, wenn bereits eine spontane Besserung eingetreten ist oder keine wesentliche Hörstörung festgestellt werden konnte, kann auch ein Therapieversuch mit hochdosiertem Gingko-Biloba-Extrakt probiert werden. Früher sind auch durchblutungsfördernde Medikamente zur Anwendung gekommen, inzwischen weiß man allerdings, dass dieser Ansatz in der Regel keine Wirkung auf den Tinnitus hat.
Sind die Ohrgeräusche einseitig und bestehen Kontraindikationen für Kortison (z.B. Diabetes mellitus) kommt zur Behandlung auch die lokale Anwendung von Kortison in Frage, die sog. intratympanale Kortikoidtherapie. Sie kann auch als Rettungstherapie angewandt werden, wenn die etablierten Therapien (Kortison als Tabletten oder per Infusion) versagen. Weitere Informationen finden Sie beim entsprechenden Link.
Besteht der Hinweis auf eine Grunderkrankung im Bereich des Kiefergelenkes oder des Bewegungsapparates (Halswirbelsäulenerkrankung) wird der HNO-Arzt eine Überweisung zum Orthopäden oder Zahnarzt / Kieferorthopäden oder direkt ein Rezept über eine physiotherapeutsche (u./o. osteopathische) Behandlung ausstellen.
Kein Tinnitus ist wie der andere und wie bereits beschrieben gibt es vielfältigste Ursachen für Ohrgeräusche, die nicht immer objektiviert werden können. Daher gibt es auch nicht DAS EINE Tinnitus-Medikament, weshalb uns bis heute wirksame Alternativen zum Standardwirkstoff Kortison fehlen. Genauso individuell, wie Ihr Tinnitus ist muss die Behandlung sein und obwohl es bestimmte Behandlungsschemata bei der Behandlung des Hörsturzes gibt (z.B. „Kortison-Stoß“, Stennert-Schema), welche oft auch bei der Therapie eines Tinnitus angewandt werden, gibt es keine standardisierte Behandlung. Denn Tinnitus ist subjektiv und daher schwer messbar, weshalb die Studienlage hierzu nach wie vor dürftig ist. Daher kann es auch sein, dass Ihr HNO-Arzt Ihnen auch bei akuten Ohrgeräuschen keine medikamentöse Therapie vorschlägt, unter der Voraussetzung, dass Ihr Tinnitus umfassend abgeklärt wurde. Vertrauen Sie auf deren/dessen Expertise. Seien Sie nicht enttäuscht, auch wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihre Beschwerden nicht ausreichend gewürdigt wurden, weil sie keine Medikation rezeptiert bekommen haben. Er wird mit Ihnen sicherlich mögliche Ursachen genau besprochen haben und Sie entsprechend beraten haben (Tinnitus-Counseling, Tinnitusbewältigungstherapie, siehe folgender Absatz) im Vertrauen und Wissen, dass die meisten Tinnitusbeschwerden sich im Verlauf von alleine bessern werden.
Behandlung chronischer Ohrgeräusche
Chronischer Tinnitus besteht, wenn die Ohrgeräusche länger als drei Monate anhalten. Chronische Ohrgeräusche werden nicht medikamentös oder chirurgisch (es sei denn es gibt eine entsprechende chirurgisch behandelbare Ursache, s.o.) behandelt. Vielmehr ist es wichtig die Ursachen zu verstehen, Faktoren aufzudecken, welche die Geräusche verstärken und zu lernen mit den Geräuschen umzugehen. Hierfür ist wichtig auch Grundzüge der Anatomie und Hörphysiologie zu erlernen. Wer nämlich versteht wie die physiologischen Zusammenhänge bei Ohrgeräuschen sind und was es mit zentralen Verarbeitungs- und Filterungsprozessen bei der akustischen Verarbeitung auf sich hat, der tut sich mit den Ohrgeräuschen deutlich leichter. Auch ist es wichtig zu wissen, dass "mit dem Hören und auch sonst im Kopf alles okay ist". Eine Erläuterung der Untersuchungsbefunde ist daher essentiell, z.B. eine Hirnstammaudiometrie zu erläutern um aufzuzeigen, dass hinter den Beschwerden kein Tumor des Kleinhirnbrückenwinkel (Akustikusneurinom) steckt.
Neben dieser Aufklärung gehört zur Therapie, dem Patienten Tipps zu geben, welche Strategien im Alltag die Geräusche in den Hintergrund drängen (sog. Defocussierung). Hierzu gehört die Vermeidung absoluter Stille (leise Radio hören, Tischspringbrunnen, mit Entspannungsmusik einschlafen) oder die Verwendung von Hilfsmitteln. Diese Tinnitusmasker oder Noiser werden auf Verordnung vom HNO-Arzt durch den Hörgeräteakustiker angepasst. Sie dienen nicht nur der Maskierung der Ohrgeräusche sondern auch dem Ausgleich etwaiger Hördefizite.
Die dritte Säule der Beratung ist die Aufklärung bzgl. der Prognose. In den meisten Fällen verschwindet der Tinnitus nicht mehr, wenngleich er bei erfolgreicher Therapie als nicht mehr so belastend, laut und die Lebensqualität beeinträchtigend empfunden wird. Ziel muss sein, sich an die Geräusche zu gewöhnen, so dass sie ihre Dramatik verlieren und Teil des normalen Lebens werden. Dies nennt man Habituation (lat., Gewöhnung) und man kann es trainieren (Habituationstraining oder auch Bewältigungstraining). Es ist daher entscheidend, dem Patienten zu vermitteln, dass die Ziele der Behandlung realistisch sein müssen. Wird dieser Sachverhalt angenommen, ist die Prognose günstig.
Das Grundprinzip der Tinnitusbewältigungstherapie ist daher das „damit-leben-Lernen“, das Geräusch darf nicht mehr krank machen. Dies kann man üben und mit der Zeit wird man das Geräusch noch wahrnehmen, es hat dann aber seinen bedrohlichen und den Alltag beeinträchtigenden Charakter verloren. Bei Tinnituspatienten ist der „Filter zur Wahrnehmung“ zu durchlässig, harmlose Ohrgeräusche werden als Großhirn durchgelassen und mit Emotionen verknüpft, was ihren dann krankmachenden Charakter erklärt, da es einen Raum im Alltag einnimmt, den es im Normalfall nicht hat. Dieser Mechanismus erklärt auch die Geräuschempfindlichkeit (Hyperakusis), die viele Tinnituspatienten darüber hinaus bemerken. Das Stärken dieses Filters und die Verknüpfung mit Emotionen lösen kann man lernen. In den meisten Fällen tritt diese Gewöhnung an akustische Signale sogar von alleine ein. Gleiches passiert beim Umzug an eine Bahnlinie: in den ersten Tagen hört man noch jeden Zug vorbeifahren. Aber schon nach kurzer Zeit nimmt man den Zugverkehr nicht mehr war... das Gehirn blendet dieses wiederkehrende Geräusch einfach aus.
Diese Behandlung chronischer Ohrgeräusche nennt man auch Tinnituscounseling (to counsel = beraten). Die meisten Patienten erlernen das Wichtigste im Umgang mit den Geräuschen in wenigen Sitzungen beim HNO-Arzt. Manche Patienten benötigen jedoch mehr Unterstützung bei der Bewältigung der Ohrgeräusche, insbesondere wenn der Tinnitus mit negativen oder katastrophisierenden Gedanken verbunden ist. Hier kann die kognitive Verhaltenstherapie gute Dienste leisten. Dabei werden den mit dem Tinnitus verbundenen negativen Gedanken positive gegenübergestellt und eingeübt. Ein weiterer Baustein ist das Erlernen von Entspannungstechniken (z.B progressive Muskelrelaxation nach Jakobson) und Stressbewältigungstraining.
Die kognitive Verhaltenstherapie wird in der Regel nicht vom HNO-Arzt, sondern von Psychiatern oder Psychologen in der Regel ambulant durchgeführt. Bei therapieresistentem Verlauf und bei psychiatrischer Grunderkrankung (z.B. Depression, burn out) kann manchmal eine stationäre Behandlung in einer psychosomatischen oder Tinnitusklinik sinvoller sein.
Um eine Chronifizierung von akuten Ohrgeräuschen zu vermeiden ist es ratsam auch bei akutem Tinnitus Strategien des Tinnitus-Counseling anzuwenden. Insbesondere Stressreduktion und -Bewältigung, Defocussierung und Verstehen der Grundproblematik können gerade in der Anfangsphase nach auftretenden Ohrgeräuschen zu einer schnellen Linderung beitragen. Wir helfen Ihnen gerne dabei!
Treffen Sie Vorsorge
Zur Vorbeugung von Hörschäden und Tinnitus sollten Sie eine akustische Reizüberflutung sowie für das Ohr schädigende Ereignisse meiden. Damit ist vor allem Lärm gemeint. Vermeiden Sie zu laute Musik per Kopfhörer, tragen Sie konsequent Gehörschutz bei lärmintensiven Tätigkeiten bei der Arbeit (Arbeitsplatzvorschrift!) und im Privaten (z.B. Schießsport, Kreißsäge). On-Ear-Kopfhörern sollten In-Ear-Kopfhörern vorgezogen werden, ideal sind solche mit Störschallunterdrückung (Noise-Cancelling), denn die Ausschaltung von Umgebungsgeräuschen verbessert die Klangqualität ohne dass die Lautstärke erhöht werden muss. Kinder sollten nur Kopfhörer tragen, die über eine Lautstärkebegrenzung verfügen.
Darüber hinaus ist es wichtig sich von Gefäßgiften fernzuhalten. Hiermit ist in erster Linie das Rauchen gemeint. Ebenfalls sollte ein erhöhter Blutdruck eingestellt, Blutzucker- und fette bei pathologischen Werten behandelt werden.
Sollten die Ohrgeräusche bei Ihnen stressassoziiert sein kümmern Sie sich um körperlichen und seelischen Ausgleich und Versuchen Sie Stresstrigger langfristig zu vermeiden oder auszuschalten.
Literatur
Biesinger, E.: Tinnitus – Endlich Ruhe im Ohr. Trias (2013)
Goebel G., Biesinger E., Hiller W., Greimel K. (2005) Der Schweregrad des Tinnitus. In: Biesinger E., Iro H. (eds) Tinnitus. HNO Praxis heute, vol 25. Springer, Berlin, Heidelberg
Hesse, G.: Tinnitus. Thieme (2008)
Leitlinie chronischer Tinnitus
Disclaimer: die Informationen wurden nach bestem medizinischem Wissen und Gewissen zusammengetragen, die Autorin ist ständig bemüht, das Informationsangebot aktuell und richtig zu halten, kann hierfür jedoch keine Gewähr übernehmen. Stand der Informationen Januar 2021