Altersschwerhörigkeit – Presbyakusis
Schwerhörigkeit im Alter
Die Presbyakusis (Altersschwerhörigkeit) beschreibt das altersbedingte Nachlassen des Gehörs im Laufe des Lebens. Bereits ab dem 50. Lebensjahr nimmt die Funktionsfähigkeit der Hörzellen im Innenohr (Haarzellen) ab, im Verlauf auch die der Hörbahn (Hörnerven) und des Hörzentrums im Gehirn. Als Altersschwerhörigkeit wird also die Summe mehrerer für sich genommener nachlassender Teilaspekte des Hörens bezeichnet, welche auf den Verlust von Innenohrhaarzellen, nervalen Strukturen, assoziativen Verknüpfungen sowie verminderter Plastizität und die Intregrationsfähigkeit des Gehirns zurückzuführen ist. Das Nachlassen letzterer ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass gehörte Information, insbesondere wenn sie lückenhaft ist, nicht mehr zusammengefügt und sinnvoll verknüpft werden kann. Der Verlauf ist typischerweise schleichend, so dass Betroffene den Hörverlust meist erst spät bemerken.
In Deutschland haben von den über Sechzigjährigen haben mehr als 20 %, in der Altersgruppe über 70 Jahre mehr als 30 % Hörschwierigkeiten. Die Dunkelziffer liegt höher, da Schwerhörigkeit leider immer noch für viele stigmatisierend ist.
Symptome
Bei Altersschwerhörigen läßt das Sprachgehör stärker nach als das Tongehör. Ursache dieses Phänomens ist, dass das Hörvermögen bds. typischerweise in den hohen Frequenzen eingeschränkt ist. Die hohen Frequenzen sind wichtig für unser Sprachverständnis, denn die deutsche Sprache enthält viele Zischlaute („f“, „s“, „sch“) und stimmlose Konsonanten, die in den oberen Frequenzen angesiedelt sind. Dies führt dazu, dass das Sprachgehör meist schlechter ist als das Tongehör, Altersschwerhörige haben insbesondere in Situationen Kommunikationsschwierigkeiten, die in geräuschvoller Kulisse mit reichlich Nebengeräuschen stattfinden. Wir HNO-Ärzte nennen das den sog. Cocktailpartyeffekt. In der „Sprachbanane“ (s. Abbildung unten) sind die Bereiche im Audiogramm gelb hervorgehoben, in denen die Sprache am häufigsten vorkommt. Man erkennt, dass mit zunehmendem altersbedingten Hörverlust (grüne Linien) der rechte Teil der Sprachbanane zunehmend ausfällt, was sich im Sprachhörverlust insbesondere in Gesellschaft bemerkbar macht. Hinzu kommt, dass bekannte Stimmen aus einem Stimmgewirr nicht mehr so gut rausgefiltert werden können, da die einer Person typischen Obertöne (individuelles Obertonspektrum) nicht mehr richtig gehört werden, was die Differenzierung von Gesprochenem aus einem Stimmengewirr zusätzlich erschwert. Im Verlauf gibt es diese Hörschwierigkeiten auch bei Einzelgesprächen in ruhiger Umgebung.
Wie angeführt und auch in der Abbildung ersichtlich, nimmt das Hörvermögen in den hohen Frequenzen stärker ab als in den tiefen Frequenzen. Dies hat zur Folge, dass mehr Lautstärke nicht automatisch zu besserem Verständnis führt, sondern eher als unangenehm wahrgenommen wird. Diesen Sachverhalt beschreibt folgende Situation: ein Altersschwerhöriger, der sehr laut angesprochen wird, weil er offensichtlich schlecht hört, antwortet typischerweise: „sprich doch nicht so laut, ich bin doch nicht schwerhörig!“.
Fallen o.g. Zischlaute und Konsonanten allmählich aus und werden zusätzlich durch Nebengeräusche überlagert können Buchstaben wie d, b, t, g oder k, die alle ähnlich klingen, nicht mehr recht unterschieden werden und Worte wie beispielsweise Nuss, Muss und Bus oder Kutter, Mutter und Butter klingen fast gleich. Somit muss sich der Betroffene massiv konzentrieren, was auf Dauer ermüdet (Hörermüdung). Außerdem fühlen sich Schwerhörige durch das häufige Nachfragen oft auch kompromittiert - beides resultiert dann meist in einem Ausstieg aus der Unterhaltung. Macht man solche Erfahrungen öfter ziehen sich Schwerhörige oft aus dem sozialen Leben zurück, da solche Situationen dann gemieden werden.
Darüber hinaus sind häufige Symptome Tinnitus, Geräuschempfindlichkeit und Gleichgewichtsstörungen. Die Raumwahrnehmung ist nämlich zu einem Gutteil durch die Hörwahrnehmung vermittelt.
Um diese Effekte einer nicht erkannten Schwerhörigkeit zu vermeiden, sollte man sich bei Verdacht auf Altersschwerhörigkeit zum HNO-Arzt begeben, der entsprechende Hör-Untersuchungen (s.u.) durchführt.
Diagnostik bei Altersschwerhörigkeit
Beim HNO-Arzt wird bei Verdacht auf Altersschwerhörigkeit zunächst eine Tonschwellenaudiometrie durchgeführt. Hier findet sich der typische Verlauf der Hörkurve mit Einschränkungen des Tongehörs in den hohen Frequenzen (siehe oben).
Wie wir bereits wissen, ist das Tongehör in der Anfangsphase einer Altersschwerhörigkeit meist besser als das Sprachgehör. Daher wird das Sprachverständnis mit der Sprachaudiometrie (Freiburger Test) überprüft. Hier fallen Patienten typischerweise mit schlechten Verständnisquoten bei den einsilbigen Worten auf. Sie sind aus dem Kontext herausgenommen, da sie einzeln dargeboten werden, und somit müssen sie schlichtweg gehört werden und können durch unsere Hörerfahrung nicht einfach dazugeschummelt werden (Haus, Maus, Laus... Mund, Hund, Schund... Ast, Last, Mast, Rast). Anhand beider Untersuchungen wird die Ausprägung der altersbedingten Hörstörung eingeschätzt und ob Hörgeräte notwendig sind.
Warum nicht zu spät zum HNO-Arzt?
Es ist empfehlenswert beim ersten Verdacht auf nachlassende Hörfähigkeit eine Höruntersuchung durchzuführen. Hierbei geht es in erster Linie um eine Bestandsaufnahme, "wo stehen wir". Leider kommen viele Patienten zu spät zur Hörprüfung, so dass dann eine Versorgung mit Hörgeräten nicht immer optimal verläuft und die Geräte keine Akzeptanz mehr finden. Denn der Verlauf einer Altersschwerhörigkeit ist progredient, das bedeutet, dass er immer mehr zunimmt. Wer Defizite wahrnimmt wird mit der Zeit weitere Hörschwierigkeiten bekommen, in der Regel stellt sich kein stabiler Zustand ein, weshalb ein Zuwarten nur ein Aufschieben bedeutet. Hier sollte man ehrlich zu sich sein, das erleichtert die Gewöhnung an Hörgeräte, sollten diese tatsächlich notwendig werden.
Denn je jünger ein Patient, desto besser ist die Fingerfertigkeit die teilweise sehr filigranen Geräte einzusetzen, je leichter fällt der Gewöhnungsprozess an den neuen Höralltag und desto kürzer ist die „Zeit der Stille“, wie ich es nenne. Je länger ein Schwerhöriger in seiner ruhigen Umgebung lebt, desto schwerer wird es für ihn sein, sich an alte Geräusche wieder zu gewöhnen - plötzlich hört man wieder Straßenlärm, Geschirrklappern... sogar das Zeitungsrascheln des Lebenspartners kann dann ganz schön nervenzerrend empfunden werden. Was auch daran liegt, dass die sog. Unbehaglichkeitsschwelle des Altersschwerhörigen niedriger liegt, was in einer erhöhten Lärmempfindlichkeit resultiert.
Komplikationen einer Schwerhörigkeit
Aufgrund der Tatsache, dass sich Altersschwerhörigkeit schleichend entwickelt und in der Anfangsphase meist noch gut kompensiert wird, besteht die Gefahr, dass man bereits in die soziale Isolation abgerutscht ist ohne es zu bemerken. Außerdem ist es bekannt, dass eine unversorgte Schwerhörigkeit, also Patienten, die eigentlich Hörgeräte bräuchten, häufiger zu Demenz führen kann, das Risiko ist um 67% erhöht. Auch gibt es Hinweise, dass dass Sturzrisiko älterer Schwerhöriger erhöht zu ein scheint und Depression in dieser Patientengruppe häufiger vorkommt. Dies alles spricht dafür, einem Verdacht auf Schwerhörigkeit auf jeden Fall nachzugehen.
Eine Einschätzung Ihres Hörvermögens kann mit dem sog. Mini-Audio-Test (MAT) erfolgen. Hierzu beantworten Sie bitte die folgenden Fragen und geben sich Punkte: „stimmt“ = 2 Punkte, „stimmt teilweise“ = 1 Punkt, „stimmt nicht“ = keinen Punkt.
- Andere sagen mir, dass ich meinen Fernseher zu laut einstellen würde.
- Das Zwitschern von Vögeln oder das Zirpen von Grillen höre ich schlecht.
- Eine Unterhaltung mit einer anderen Person in einem fahrenden Bus verstehe ich schlecht.
- Wenn jemand flüstert, habe ich Probleme ihn zu verstehen.
- Meine Hörprobleme führen zu Missverständnissen mit Gesprächspartnern.
- Andere sagen mir, dass ich Hörprobleme haben würde.
Sie sollten einen HNO-Arzt aufsuchen, wenn Sie mehr als 3 Punkte haben und älter als 70 Jahre sind oder 2 Punkte und zwischen 60 und 70 Jahren sind. Ein unauffälliges Testergebnis schließt eine Schwerhörigkeit nicht aus.
Therapie
Leider gibt es noch keine medikamentöse Therapie gegen Schwerhörigkeit im Allgemeinen und der Altersschwerhörigkeit im Speziellen. Sind bestimmte Kriterien in der Hörfunktionsdiagnostik erfüllt, bestehen merkliche Defizite in der Hörfähigkeit und besteht die Bereitschaft dagegen etwas zu tun sind Hörgeräte indiziert. Sie stellen die Hauptsäule der Hörreabilitation dar. Es ist nachgewiesen, dass sich mit der Hörgeräteversorgung die Lebensqualität eindeutig verbesserte. Außerdem gibt es Hinweise, dass sich die Versorgung in Bezug auf die Entwicklung von depressiven Syndromen präventiv auswirkt.
Bei ausgeprägter Schwerhörigkeit können neben konventionellen Hörgeräten auch speziellere Versorgungsformen wie implantierbare Hörsysteme oder bei ausgeprägter Schwerhörigkeit Cochlea-Implantate zum Einsatz. Die typische Schwerhörigkeit kann jedoch gut mit den modernen Hörgeräten versorgt werden.
Da eine einmal eingetretene Schwerhörigkeit nicht reversibel ist kommt der Vorsorge eine immense Bedeutung zu, damit sich diese nicht weiter verschlechtert. Vermeiden Sie daher gehörschädigenden Lärm, Nikotin und achten Sie auf eine ausgewogene, antioxidanzienreiche Ernährung und einen gut eingestellten Blutdruck und ggf. Blutzuckerwerte.
Quellen:
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Disclaimer: die Informationen wurden nach bestem medizinischem Wissen und Gewissen zusammengetragen, die Autorin ist ständig bemüht, das Informationsangebot aktuell und richtig zu halten, kann hierfür jedoch keine Gewähr übernehmen. Stand der Informationen: Januar 2021